Geschichte und Erinnerung * Konzentrationslager Lungitz-Gusen III

In Lungitz befand sich während des Nationalsozialismus ein Außenlager des KZ-Komplexes Mauthausen-Gusen. Dieses Außenlager hieß Gusen III. Das KZ-Außenlager Gusen III umfasste das Lager sowie eine Großbäckerei auf einem ca. 3 Hektar großen Areal in unmittelbarer Umgebung des Bahnhofes. Es sollte den KZKomplex Mauthausen-Gusen mit Brot beliefern. Der Standort wurde aufgrund seiner Bahnverbindung zu Gusen gewählt. Eine benachbarte Ziegelei hatte bereits zuvor KZHäftlinge als Zwangsarbeiter*innen eingesetzt und verkaufte ihre Produkte an das Lagersystem. Im Sommer 1943 begannen Häftlinge aus dem KZ Gusen I mit der Errichtung des Lagers und der Bäckerei. Im Herbst 1943 nahm Gusen III seinen Betrieb mit ca. 150 Häftlingen auf, die nun auch vor Ort untergebracht waren.

Die Zwangsarbeiten bedeuteten schwerste körperliche Arbeit bei meist völlig unzureichender Versorgung. In Lungitz umfassten sie vor allem den Bau von Straßen und einer Gleisanbindung sowie den Aufbau und Betrieb des Lagers, der Bäckerei und der angeschlossenen Infrastruktur. Im inzwischen stillgelegten Ziegelwerk wurden KZ-Häftlinge für die Lagerung von Flugzeugteilen eingesetzt, die der Produktion im KZStollen „Bergkristall“ in Mauthausen-Gusen dienten. Am Höchststand befanden sich im KZAußenlager Lungitz etwa 300 Häftlinge. Bewacht wurde das KZ von ca. 20-30 SS-Männern. Sie übten gegenüber den Häftlingen sowohl unmittelbare als auch strukturelle Gewalt aus, gestützt durch ein System an Funktionshäftlingen, die gezwungen wurden, die Arbeitsabläufe im Inneren des Lagers zu organisieren, ihre Mithäftlinge zu kontrollieren und dabei auch körperlich zu maßregeln. Der Großteil der Österreicher*innen bejahte oder akzeptierte die NS-Herrschaft. In Lungitz gab es gegenüber den Häftlingen Ressentiments und der Widerstand gegen das NS-System beschränkte sich auf wenige Fälle, bei denen Häftlingen Essen während der Arbeit zugesteckt wurde. Das Lager wurde am 5. Mai durch US-amerikanische Soldaten befreit. Einige der 250 angetroffenen KZ-Häftlinge wurden in Bauernhäusern und im Kardenstadel untergebracht, wo sie bekocht wurden oder für sich selbst kochten. Viele erkrankten durch die zu reichlichen Mahlzeiten schwer. Im August 1945 richtete die sowjetische Armee ein Lazarett für die ehemaligen Häftlinge ein. Ziegelwerk, Bäckerei und Bestandteile des KZ wurden von Menschen aus der Region, der sowjetischen Armee und der Gemeinde geplündert und für eigene Zwecke oder durch Verkauf verwertet. Schließlich gingen die Grundstücke an die ursprünglichen Besitzer*innen zurück, welche die letzten baulichen Reste entfernten und das Areal ab 1957 wieder landwirtschaftlich nutzten.

Initiiert vom Heimatverein Katsdorf, wurde am 7. Mai 2000 der erste Gedenkstein enthüllt. Er zeigt die Lagerstruktur von Gusen III. Die 55 Jahre, in denen nichts in Lungitz öffentlich an das ehemalige KZ erinnerte, reflektieren die vorherrschende österreichische Gedenktradition. Lange beschäftigte sich das offizielle Österreich nicht mit der NS- Vergangenheit. Der Mythos, Österreich sei erstes Opfer “Hitler-Deutschlands” gewesen, verhinderte die Übernahme von Verantwortung und eine breite Aufarbeitung von Nationalsozialismus und Holocaust. Durch die teilweise politische Anerkennung von Mitverantwortung an NS-Verbrechen kam es erst ab den späten 1980ern zu ersten offiziellen Gedenkfeiern für die Opfer des Nationalsozialismus sowie zur Errichtung von Denkmälern. Das meiste über diese Geschichte wissen wir aus einer einzigen Quelle, aus der Sicht eines Lungitzers, der zur NS-Zeit ein Schulkind war und erst spät zur Lokalgeschichte recherchierte.

Anm. Pirklbauer 17.4.2024: 2018 wurde beim Bahnhof-Umbau in Lungitz eine Ascheschicht entdeckt, die menschliche Überreste beinhaltete. Laut der wissenschaftlichen Leiterin der Ausgrabungen, Prof. Claudia Theune, ist anzunehmen, dass die Asche aus den Krematorien Mauthausens stammt. Am 4. Mai 2021 wurde hierfür eine Grabstätte, direkt neben dem bereits bestehenden Gedenkstein, eingeweiht. Quellen: Leo Reichl, Das KZ-Lager Gusen III (OÖ Heimatblätter 2000); Friedrich Ehn, Zwangsarbeit der KZ-Insassen im KZ-Gusen (Uni Wien 2017); Bertrand Perz, Gusen III (Der Ort des Terrors Bd. 4, 2006); Martina Gugglberger, „Versuche anständig zu bleiben“ (OÖ in der Zeit des Nationalsozialismus 5, 2006); Heidemarie Uhl, Das „erste Opfer“ (ÖZP 2001/1); https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20181004_OTS0191/menschliche-ueberrestebei-bauarbeiten-am-bahnhof-lungitz-gefunden (10.6.2023); https://bmi.gv.at/magazin/2021_07_08/Gedenk_und_Informationsort.aspx (10.6.2023) Herausgegeben im Zuge des Projekts „Giveaways/Hideaways“ I Festival der Regionen 2023 Text: Judith Pirklbauer, Redaktion: Antoine Turillon, Anna Weberberger, Seth Weiner

In Lungitz befand sich während des Nationalsozialismus ein Außenlager des KZ-Komplexes Mauthausen-Gusen. Dieses Außenlager hieß Gusen III.

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